Der Captain sprach, doch seine Worte fanden mich nur fetzenweise, so angespannt war ich. „Heute immens, immens wichtiges Spiel...blablabla...geht nicht nur um euch...Fans...Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle...Jobs in Gefahr...blabla...gehen jetzt da raus und gewinnen...Wackernheim...alles geben...Wackernheim...Wackernheim“. In mir wackerte es schon wie wild (noch beim anschließenden Abendessen war es mir nicht möglich, etwas anderes als „Wackernheim“ und „Laugenbrusen“ zu bestellen). Wir standen in den Katakomben, und Marco G., der Spielführer, instruierte uns derart inbrünstig, als stünde die Ober-Olmer Kavallerie vor dem Klein-Winternheimer Dorfgatter und drohte, den Ort dem Erdboden gleich zu machen, sofern man sich nicht bereit erkläre, Prinzessin Chen Zhibin rauszurücken. Aber er hatte ja Recht, der Kapitän: Es ging um Alles oder Nichts, denn Nichts, das war in diesem Fall der Abstieg in die Verbandsoberliga, und ich erinnerte mich noch leidlich an den jüngsten Spieleabend der ersten Mannschaft, wo die Begriffe „Nichts“, „Verbandsoberliga“, „Bockovenpizza“ und „Matthias B.“ beim Assoziationsbingo in einer gemeinsamen Spalte aufgetaucht waren. Als wir schließlich zu den Klängen der Klein-Winternheimer Nationalhymne – an dieser Stelle noch einmal ein großes Dankeschön an „Die lustigen Trompeten vom Haybach“ und ihre herrliche Interpretation von „Am schönsten ist´s am Bahnhof“ – in die ausverkaufte TSV-Halle einliefen, wurde mir die Größe des Moments bewusst; wie ein Karussell-Feuerwehrauto – „tatütata, wo brennt es denn? Ich werde Feuerwehrmann“ (Zitat David S.) – drehten sich die Bilder des letzten Jahres in meinem Kopf, und ich drückte Stop!, als wir am letzten Maitag 2015 angelangt waren. Die Saison hatte mit zwei positiven Ereignissen begonnen: Zum einen war es uns gelungen, zum zweiten Mal in der Abteilungsgeschichte das prestigeträchtige Fußballturnier der Ortsvereine zu gewinnen; ich erwähne lediglich in meiner Funktion als RSV-Historiker, dass es mir zum wiederholten Mal geglückt war, den goldenen Schuh des besten Torschützen zu ergattern. Es sind seitdem viele treffende Worte verloren worden über meinen unschätzbaren Wert für das Team, ja, wie ich bisweilen hörte, gar für die Region als solche; genug davon. De facto jedenfalls waren wir noch nie abgestiegen, wenn wir zuvor das Fußballturnier gewonnen hatten. Und zum anderen hatte sich Marco G. einen Bänderriss zugezogen, was nicht nur in den Augen der Vereinspresse den Turniergewinn überhaupt ermöglichte, sondern auch sonnige Perspektiven für den Oberligastart im August eröffnete. Hinter vorgehaltener Hand, obwohl seit 2004 verboten, sprach Abteilungsvize Steffen N. von einer Stärkung des Tischtennisteams; man schleppe den Kapitän mittlerweile nur früherer Verdienste wegen noch mit; tatsächlich fühle er, N., sich beim Anblick G.s oft an ein Stück alter Torte erinnert: einstmals schön und schmackhaft, frisch, eine Aushängetorte für die RSV-Bäckerei; doch nun, nach Jahren unter der Glasfront, sauer, verschimmelt und porös, aber eben doch zu schade zum Wegschmeißen, es war ja eine gute Torte, eine Gottwälder Kirschtorte! Und unterdessen scharrten die jungen Kuchen aus der Yves de Baiser-Manufaktur schon mit den Noppen. So gesehen sei die „bedauerliche Verletzung“ also ein „enormer Glücksfall für die gesamte Abteilung“, so N., der mir im gleichen Kontext mitteilte, dass man auch auf meine Dienste erst beim nächsten Fußballturnier wieder zurückgreifen zu gedenke. Zumindest in der ersten…